LEONBERGWikipedia schreibt nicht immer die Wahrheit. Janna Schweigmann weiß das, sie hat da schon ihre Erfahrungen gemacht. „Schweigmann begann ihre sportliche Karriere als Fußballspielerin beim TSV Flacht“, steht in der Online-Enzyklopädie als erster Satz unter der Rubrik „Karriere“, doch das trifft nicht zu. „Ich habe nie beim TSV Flacht Fußball gespielt“, betont die Volleyballspielerin, „sondern beim TSV Heimerdingen.“ Immer wieder wurde sie darauf angesprochen, immer wieder rückte sie den Wikipedia-Eintrag zurecht.
Nur: Ändern ließ sich der nicht, weil sie gegenüber dem virtuellen Nachschlagewerk nicht belegen konnte, dass der TSV aus Heimerdingen und nicht der aus Flacht die sportliche Wiege von Janna Schweigmann war. „Der Eintrag bezog sich auf einen Zeitungsartikel, und ich hatte nichts, mit dem ich das hätte widerlegen können“, sagt die 21-Jährige, „das war ein Teufelskreis.“ Nach dem Motto „Was tut ein Baum, wenn ein Schwein sich daran kratzt?“ fand sich das Wikipedia-Opfer mit der Realitätsabweichung ab und erklärt jedem, der sich auf den Eintrag beruft, dass er eben nicht stimmt.
Wäre ja auch eine Geschichte wie aus einem Märchenbuch. Die kleine Janna, die vom Alter von vier Jahren beim TSV Flacht das Fußballspielen erlernt hat, kehrt nach beinahe zwei Jahrzehnten in der Fremde zu ihrem Heimatverein als professionelle Volleyballspielerin zu den Binder Blaubären Flacht in die Zweite Liga Pro zurück. Es war eben nicht ganz so, wie das ein Hollywood-Drehbuchautor erfunden hätte, sondern nur beinahe. Also: Kicken bis zum Alter von 14 Jahren beim TSV Heimerdingen, dann wurde aus der Fußballerin eine Volleyballerin, weil ihre Mutter bei den TSF Ditzingen in dieser Sportart aktiv war und „jemand mein Talent erkannt hatte, als ich dort zum Spaß ein wenig spielte“, erzählt Janna Schweigmann. Jedenfalls fühlte sich die junge Frau schon wie beim Nach-Hause-Kommen, als sie das Angebot der Blaubären angenommen hatte, schließlich wohnt sie in Ditzingen und ist ein Kind der Region. „Sie haben mir das Projekt vorgestellt, ich habe ein Probetraining absolviert und dann war alles klar“, erzählt sie, „das ist schon echt cool.“
Die Volleyball-Matrosin Schweigmann hatte im Sommer 2022 sportlichen Schiffbruch erlitten. Der MTV Stuttgart, wo sich die Diagonalspielerin an Bord glaubte, beschloss, sich wegen Personalproblemen aus der zweiten Liga abzumelden – und nun? In Liga drei oder der Regionalliga wollte sie nicht anheuern, „dort wäre ich unterfordert gewesen“, sagt sie, „ich war ratlos.“ Aufhören war keine Option, sie schloss sich dem Zweitligisten TV Waldgirmes aus Hessen an, wohl oder übel, hielt sich am Olympiastützpunkt Stuttgart fit und pendelte lediglich zu den Spielen zum Team aus der Nähe von Gießen ein. Pro Heimspiel waren das mehr als 500 Kilometer am Wochenende. Eine wenig zukunftsfähige Konstellation. Der Anruf von Trainer Nico Reinecke im Januar war eine Befreiung. „Perfekt“, meint die 21-Jährige, „ich studiere in Stuttgart, wohne in Ditzingen und spiele Volleyball in Flacht.“ So wird doch das Märchen wahr. Endstation Sehnsucht.
In der Jugend sah die 1,88 Meter große Spielerin einer großen Laufbahn entgegen – sie hatte Einsätze im Jugend-Nationalteam, spielte mit 18 bei NawaRo Straubing in der Bundesliga, doch sie wollte den Fokus auf ihre berufliche Zukunft richten und studieren, weil eine Frau im Volleyball nie so viel verdient, um fürs Leben nach dem Sport finanziell sorgenlos zu sein. „Ein Vollzeitstudium und die Bundesliga sind aus Zeitgründen nicht kompatibel“, erzählt Janna Schattmann, die sich trotz intensiver Bitten vieler Trainer entschloss, sportlich eine Etage abzusteigen und Zweitliga-Luft zu schnuppern. Also schrieb sie sich fürs Fach Online-Medien-Management an der Hochschule der Medien in Stuttgart ein und ordnete sich ihr Leben für Liga zwei.
Nun ist sie glücklich bei den Blaubären, diesen Samstag (19 Uhr) kommen die Volleys aus Borken in die Heckengäusporthalle. Nico Reinecke kennt das Potenzial der Diagonalspielerin, sieht aber auch, dass „Janna noch Erfahrung auf ihrer Position sammeln, ihren Bewegungsablauf optimieren und in ihren Leistungen konstanter werden muss“. Der ihr eigene Perfektionismus ist mal Nachbrenner, mal Bremsfallschirm. Reinecke will sie ein wenig leiten, damit sie sich in ihrer Entwicklung nicht selbst im Weg steht. Apropos Perfektionismus. Janna Schweigmann kann sich nun erneut bei Wikipedia melden und den kleinen Fehler mit dem TSV Flacht beheben: Nun besitzt sie endlich einen Zeitungsartikel, der belegt, dass ihre Sportkarriere beim TSV Heimerdingen begonnen hat.