Es hat nicht viel gefehlt und der 38-Jährige hätte sich so böse geirrt wie die Fußball-Fans des FC Bayern im Champions-League-Finale 1999, als die Münchner nach 90 Minuten 1:0 gegen Manchester United führten und den Triumph feierten – ehe Teddy Sheringham (90+1) und Ole Gunnar Solskjaer (90+3) das Spiel für ManU drehten. „Ich war kurz davor, das Handy ins Eck zu pfeffern“, gestand Kaiser, als die Begegnung fast verloren schien. Die Blaubären ließen erst zwei Matchbälle aus, wehrten dann zwei Matchbälle (einmal mit unverschämtem Dusel) ab und entschieden den Tiebreak doch für sich. 3:2 (17:25, 25:17, 31:33, 25:19, 18:16) hieß es nach gut 150 nervenaufreibenden Minuten.
Die 433 Zuschauer in der ausverkauften und emotional elektrisierten Heckengäuhalle tobten, und allen TSV-Freunden fiel eine Last vom Herzen, als wenn die Angebetete den Heiratsantrag nach kurzem Zögern doch annimmt. „Was für eine riesige Erleichterung“, sagte Kaiser und strahlte, „was für ein Wechselbad der Gefühle.“ Trainer Nico Reinecke war von den Aufs und Abs in seiner Gefühlswelt körperlich so geschafft als wäre er just der Wahnsinns-Achterbahn Silver Star im Europapark Rust entstiegen. „Ich bin energielos“, stöhnte er, „das Team hat einen unglaublichen Kampfgeist gezeigt, der von den Fans auf der Tribüne entfacht wurde.“ Und Mittelblockerin Marie-Christin Werner meinte knapp: „Heute war eine enorme mentale Stärke gefragt. Die hatten wir.“
Es war eine Nervenprobe der ganz besonderen Art, die die Blaubären von sich selbst sowie allen anderen in der Halle abverlangt hatten. Es ist erst vorbei, wenn es vorbei ist – den klugen Spruch hört man immer wieder im Sport und kostet als Plattitüde eigentlich fünf Euro ins Phrasenschwein. Am Samstagabend bestätigte er sich wieder mal. Und zwar eindrucksvoll. Nach verlorenem ersten Satz gelang den Frauen aus Flacht überzeugend der Ausgleich – doch nachdem sie in Satz Nummer drei insgesamt acht(!) Satzbälle ausgelassen hatten, drohte die Partie zugunsten der Sächsinnen zu kippen. Das Momentum sprach eindeutig für Grimma, nach diesem gewonnenen Mammutsatz (33:31) den Sack sicher zuzumachen.
Doch die Mentalitätsmonster in den blau-weißen Trikots stürzten nicht ins Psycho-Loch, sie streiften den Frust des verlorenen Satzes lässig beiseite wie man lästige Fliegen vertreibt und holten sich den 2:2-Ausgleich. Trainer Nico Reinecke gab hinterher emotional wieder aufgeräumt unumwunden zu: „Das kann ganz anders laufen, sodass wir den Satz haushoch verlieren und auch das Spiel.“
Mit dem 2:2 lag das viel beschworenen Momentum plötzlich wieder bei den Blaubären, doch es benahm sich wie ein trotziges Kind, das nicht weiß, ob es nun Gummibärchen oder doch lieber ein Überraschungsei möchte. 0:5 und 1:6 lag der TSV Flacht im Tiebreak zurück, vieles deutete erneut auf einen Auswärtssieg für Grimma hin, dann kam das Team um die kampferprobte Kapitänin Julia Cedeno und die bärenstarke Diagonalangreiferin Frauke Neuhaus doch noch zurück ins Spiel – und im hatte im finalen Tiebreak-Duell das glücklichere Ende für sich. „Jede Einzelne hatte ihren Anteil an diesem Erfolg“, freute sich Chefcoach Reinecke.
Das galt auch für Neuzugang Nadine Himmelhan. Die 32-Jährige, zuletzt beim im Sommer abgemeldeten Drittligisten SV Sinsheim am Ball, kam erst im Tiebreak zu ihrem Debüt bei den Blaubären und konnte zumindest zwei kleine Akzente setzen. „Man kann auch zum Sieg beitragen, wenn man nicht auf dem Feld steht“, sagte Himmelhan, die von außen motivierte und die jüngeren Spielerinnen antrieb. Die Blamage einer verfrühten Botschaft, die Michael Kaiser erspart geblieben war, traf die Funktionäre aus Grimma. Die hatten mit einem klaren 3:0 gerechnet und für 20.30 Uhr Pizza für die Mannschaft in die Halle geordert – doch ein Spiel ist eben erst vorbei, wenn es beendet ist.