Trainer leiden bei Spielen wahrscheinlich mehr als die Aktiven auf dem Feld. Die Trainer sind lediglich Zuschauer, ohne eingreifen zu können, oder besser: Passagier auf einem Schiff, das die Personen auf dem Spielfeld steuern. Und wenn eine Partie eine vorentscheidende ist, eine, in der es darum geht, die wohl letzte Chance zu wahren, einen Abstieg zu verhindern, dann sitzen Trainer in einer Achterbahn: Es geht hoch oder runter, nach links oder nach rechts – aber sie können die Richtung nicht bestimmen. Wenn sie am Ende aussteigen, rebelliert entweder ihr Magen und sie fühlen sich sterbenselend oder es stellt sich ein wohliges Gefühl ein, eine anregende, geile Fahrt erlebt zu haben.
Nico Reinecke, der Chefcoach der Binder Blaubären des TSV Flacht, war am Samstag in Freisen jedenfalls so erledigt, als hätte er den Spielboden für ein Volleyball-Feld im Alleingang verlegt. Oder noch schlimmer. „Ich bin schweißgebadet und musste mich erst einmal umziehen“, erzählt der 40-Jährige eine gute halbe Stunde nach Spielschluss, „aber das war ein geiles Spiel.“
Wahnsinnig geschafft, aber verdammt glücklich. 3:1 (26:24, 19:25, 25:17, 25:21) hatten die Binder Blaubären des TSV Flacht bei Schlusslicht SSC Freisen gewonnen und den Rettungsring ergriffen – die Chance in sieben ausstehenden Spielen nicht aus der Zweiten Liga Pro abzusteigen, ist zwar nicht exzellent, aber absolut intakt. Nun müssen sie aber noch aus eigener Kraft ans Ufer schwimmen. Zwei Mannschaften müssen runter in die Zweite Liga Süd, wobei VCO Dresden als Nachwuchsteam des Olympiastützpunktes einen Freischein besitzt und nicht abstiegen kann.
„Vielleicht ist mit dem ersten Auswärtssieg der Knoten geplatzt“, sagt Reinecke. Anders ausgedrückt: Dieses 3:1 bringt neues Selbstvertrauen und vergrößert die Hoffnung auf den Ligaverbleib, nachdem es in einigen Partien zuvor zwar viel Lob für die Leistung, aber nichts Zählbares fürs Punktekonto gegeben hatte. Man muss kein Sportstudium absolviert haben, um zu erkennen: Eine Niederlage im Saarland wäre ein Schlag gewesen, der die Blaubären knallhart auf den Boden befördert hätte und es höchst fraglich gewesen wäre, ob sie überhaupt noch mal aufgestanden wären. „In den Köpfen hätte es gegeistert: Wen willst du schlagen, wenn dir das nicht mal gegen den Tabellenletzten gelingt?“, bekennt Nico Reinecke.
So aber lebt noch das kleine Pflänzchen namens Nichtabstieg weiter. Es hätte auch anders kommen können. Denn nach knapp gewonnenem ersten (Freisen hatte einen Satzball) und verlorenem zweiten Satz wackelten die Flachter Frauen in Durchgang Nummer drei kurz, weil sie eine klare Führung aus den Händen gegeben hatten – doch sie blieben standhaft. „Ich habe dem Team gesagt: Wer den Sieg mehr will, wird gewinnen“, erzählt der TSV-Chefcoach, der diese Vorgabe an der Seitenlinie ebenfalls umsetzte. Er tigerte von links nach rechts, er zeigte Emotionen, lebte Aggressivität vor, motivierte eindringlich in den Auszeiten – und es war nicht verwunderlich, dass die enorme mentale Anspannung dazu führte, dass Reinecke mindestens so sehr ins Schwitzen kam wie seine Spielerinnen.
Die setzten die Vorgaben (meist) gut um. Im Angriff wurde stets nach Lösungen gesucht und nichts mit der Brechstange erzwungen, das Team wollte nicht zu viel, sondern taktierte klug. Frauke Neuhaus war mit 49 Angriffen erneut die effektivste Waffe der Blaubären, die 30-Jährige wurde zum neunten Mal in dieser Saison zur besten Spielerin des TSV gewählt. Kapitänin Julia Cedeno schmetterte 30-mal, Pauline Kemper 23-mal. „Es war eine Gesamtleistung der Mannschaft“, stellte Nico Reinecke klar. Einen gewissen Anteil an den drei Punkten darf sich auch der 40-Jährige anrechnen. Er hat ja hart dafür gearbeitet. Ohne Schweiß, kein Preis.